Mamba, 2005 (Wiederveröffentlichung, Infos siehe unten)
Nur wenig, nur die absolute Spitze von dem, was alltäglich so an Gewalthandlungen vor allem gegen Frauen in der radikalen/autonomen Linken passieren dürfte, schwappt bis in die Szene-Öffentlichkeit; nämlich – manchmal – das, was von den Betroffenen als Vergewaltigung bezeichnet wird. Die dann folgenden Schlammschlachten sind nur ein absurder Ausdruck dessen, was alles an tagtäglichen Unerträglichkeiten vor allem durch Männer unter den Tisch fällt und so recht keinen Platz in der – dem Anspruch nach – von beiden Geschlechtern zu verantwortenden politischen Arena und Begriffswelt hat.
Was geht? Wer spricht? Warum?
Wir arbeiten seit ca. drei Jahren als feministische, linke Frauengruppe zusammen. Schwerpunkt unserer Arbeit war lange Zeit ein Workshop zu Technologiekritik und Bevölkerungspolitik im Rahmen einer feministischen Kritik an der Weltausstellung EXPO 2000.
Mit dem Thema »Definitionsmacht« sind wir ziemlich plötzlich und auf verschiedene Weise konfrontiert worden: zum einen durch eine Veranstaltung der Definitionsmachtsinfragestellerlnnen Les Madeleines (1) in Hannover, gegen die wir uns gemeinsam mit anderen Frauen positioniert haben. Vor allem aber haben wiederholt sexuelle Übergriffe auf Frauen in unserem eigenen Umfeld uns zur Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Umgang mit sexueller/sexualisierter Gewalt (2) in der radikalen/autonomen Linken gezwungen. In den darauf folgenden Diskussionen mit Männern und Frauen (sowohl aus gemischten als auch aus Frauengruppen) zeigte sich, dass die Auseinandersetzung um den konkreten Umgang mit sexueller/sexualisierter Gewalt innerhalb der radikalen Linken nahezu ein Fass ohne Boden ist. Im Verlauf der Debatten um sexuelle Gewalt wird vor allem die generelle Marginalisiertheit von feministischen Positionen innerhalb der radikalen/autonomen Linken deutlich. Im folgenden wollen wir den bisherigen Stand unserer Diskussion veröffentlichen, um der verbreiteten Geschichtslosigkeit der jetzigen Debatten um sexuelle Gewalt etwas entgegenzusetzen, Diese Geschichtslosigkeit drückt sich auch in beliebigen Problematisierungen eines angeblich bestehenden »Definitionsrechts« aus, die in weiten Teilen unwidersprochen stehen bleiben.
Mit unserem Text richten wir uns sowohl an Interessierte aus der feministischen Bewegung, wie auch an gemischtlinke Gruppen, bzw. Männer, die sich in ihrer Politik auf feministische Positionen beziehen wollen.
Einschätzungen zum Status quo – Zwischen Frauenbewegung und radikaler/autonomer Linker
Wir gehen davon aus, dass es in der radikalen/autonomen Linken ein kritisches Bewusstsein der gesellschaftlichen Verhältnisse gibt und ebenso einen verbreiteten allgemeinen Anspruch, es »besser« zu machen. Dennoch wird die Beschäftigung mit Sexismus als Bestandteil gesellschaftlicher Realität, der politische Mikro- wie Makrostrukturen durchdringt, in gemischten Gruppen zumeist souverän verworfen. Die fehlende Selbstverständlichkeit, sich mit dem eigenen Sexismus auseinander zu setzen, wird ergänzt durch die fehlende Einbeziehung von patriarchalen Verhältnissen auf der Analyseebene. Dem Anspruch zufolge, den wir an radikallinke Politik stellen würden, diskreditiert diese sich dadurch selbst.
Aber schade, schade: dieser Anspruch wird nicht von allen Linksradikalen geteilt – und ein Anspruch allein bleibt ohnehin folgenlos. Eine simple Erklärung für die immer weiter fortschreitende Nichteinbeziehung von feministischen Positionen liegt im Niedergang der Frauenbewegung: es fehlt einfach der politische Druck. Einerseits knüpfte gerade die autonome Bewegung, beispielsweise mit der Häuserkampfpolitik, zwar an das Politikverständnis der Frauenbewegung an, indem sie auch das »Private« zum Gegenstand ihrer Kämpfe machte, also »politisierte«. Andererseits löste sie dabei die Parole »Das Persönliche/Private ist politisch« aus ihrem ursprünglichen Kontext: dem Kampf von Frauen zur Revolutionierung des Geschlechterverhältnisses, und korrumpierte sie zum Slogan eines Kulturkampfes, in dem sich die Verteidigung eines unkonventionellen, »dissidenten« Lebensstils verselbständigte und schließlich in dem versackte, was als typisch autonomer Subjektivismus eigentlich allen bekannt sein dürfte, die seit längerem in entsprechenden »Zusammenhängen« politisch arbeiten.
Diese Entwicklung steht in engstem Zusammenhang mit einem Prozess von Ausdifferenzierung und teilweiser Institutionalisierung (3) der Frauenbewegung, in dem sie insgesamt an politischer Stärke verlor. Die Durchsetzung bestimmter Tabus und Gepflogenheiten, die Frauen das (politische) Leben erleichterten, war innerhalb der radikalen Linken nur erreichbar vor dem Hintergrund einer starken, kämpferischen Frauenbewegung, die es ermöglichte, zu Männern zu sagen: gut, wenn nicht mit euch, dann eben ohne oder auch gegen euch. Diese Situation ist passé. Es scheint, dass zwischen den verbliebenen autonomen Frauengruppen und der gemischten autonomen (4) Restlinken eine »Arbeitsteilung« besteht, die dasselbe Schema wiederholt, das auch für viele Heterobeziehungen charakteristisch ist: salopp ausgedrückt, machen Frauen die Beziehungsarbeit am linken »Gesamtmacker«, während vorrangig Männer sich der »großen Politik« widmen. Ist das Verhältnis zwischen Männern und Frauen erfolgreich entpolitisiert, weil nicht mehr als Machtverhältnis präsent (wofür die Frauenbewegung stand), haben sich, dem althergebracht-linken Politikverständnis folgerichtig, Frauengruppen als »politisch« erübrigt und können offen infrage gestellt werden.
Feministischer Separatismus als Organisierungskonzept wird von vielen Frauen heute als Schritt »aus den Gemischten heraus« verfolgt – während es 1975 oder 1985 unter Frauen begründungsbedürftig war, mit Männern Politik zu machen, stehen die Dinge heute umgekehrt. Das stellt Feministinnen vor die Alternative, entweder relativ vereinzelt zu agieren, oder sich politisch auf die gemischtgeschlechtliche Linke zu beziehen (5). Bei vielen jüngeren, nachrückenden Feministinnen hat sich die Selbstwahrnehmung dahingehend verändert, dass sie sich eher in einem »linken« als »feministischen« Diskurs verortet sehen und das auch faktisch sind. Das führt dazu, dass der Vereinnahmungstendenz seitens der Linken, die verbliebenen Frauengruppen in sich zu subsumieren, unbeabsichtigt entsprochen wird. Zu einem historischen Zeltpunkt, an dem feministisches Geschichtsbewusstsein kaum noch existent Ist, wirkt damit die Kritik am »Definitionsrecht« umso fataler: Falschdarstellungen und absurde Herleitungen treffen auf unser eigenes partielles Unvermögen, diesen argumentativ und mit einer Verteidigung der Eigenständigkeit feministischer Politik gegenüber linker zu begegnen.
Von »Selbstbestimmungsrecht«, »Definitionsrecht« und anderen Machtfragen
Seit den Hoch-Zeiten der Frauenbewegung, von der aus der Kampf gegen alle Formen von Gewalt gegen Frauen zunächst in dem Begriff des »Selbstbestimmungsrechts« geführt wurde, haben sich also politische Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft verschoben. Was einst z.B. in Debatten um den §218 und die sexuelle Verfügbarkeit der Frau als Begriff sinnvoll war, ist heute von Bevölkerungspolitikerinnen, Gen- und Reprotechnologlnnen zur schein-feministischen Legitimation ihrer Politik vereinnahmt.
Der Begriff der Selbstbestimmung hat damit seine ursprüngliche Bedeutung verloren (6). Der Konflikt um Männergewalt wie auch strukturelle Formen von Gewalt, denen Frauen ausgesetzt sind, wird von uns heute in anderen Begriffen ausgetragen: In den aktuell verwendeten Begriffen zeigt sich eine Aufsplittung der Sicht auf Gewaltverhältnisse, in der diese häufig nur noch reduziert in den Blick kommen. Hinter der Forderung nach »Selbstbestimmung« stand ein umfassendes feministisches Verständnis von Körperlichkeit und Befreiung. Wenn eine schon mal von »Selbstbestimmung« spricht, wird die Absurdität einer Rechtfertigung derselben vor Männern schneller klar, als wenn in intellektualisierter Form »Definitionen« verhandelt werden. Allein mit »Definitionen« ist uns nicht geholfen; es ist das »Bestimmen«, das wir durchsetzen müssen. Das kann nicht heißen, den Begriff Definitionsmacht als solchen abzulehnen, sondern den Streit um Begriffe selbst historisch aufzuarbeiten.
Definitionsrecht oder Definitionsmacht? Welches hätten’s gern?
Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, für welche unterschiedlichen Argumentationsweisen der Gebrauch der Begriffe Definitionsrecht bzw. Definitionsmacht steht und welche Problemdefinitionen in diesen mittransportiert werden. Den Wortteil »Definitions-« mal weggelassen, wird ersichtlich, dass es sich bei Recht und Macht inhaltlich um zwei völlig verschiedene Dinge handelt.
Der Begriff »Definitionsrecht« ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. So wird ein Recht gewährt (oder auch nicht), wodurch ein passives Bild der betreffenden Frau impliziert und diese tendenziell als Objekt behandelt wird. Bleibt noch die Frage offen, wer dieses Recht gewährleistet. Schließlich vermittelt der Terminus »Recht« eine »Einklagbarkeit«; ähnlich eines bürgerlichen Gerichtsverfahrens müsste demnach eine Art System vorhanden sein, dem bestimmte Vereinbarungen zu Grunde liegen. Ein dogmatisch festgelegtes Vereinbarungsschema, in welchem ein pseudo-juristisches Vorgehen dominiert, reduziert die Frau auf einen »Fall« und entpolitisiert das Geschehen zugleich.
Der Begriff Definitionsmacht ist generell nicht auf den Bereich sexueller Gewalt beschränkt, sondern wird auch in anderen politischen Kontexten von Linken benutzt. Es geht dabei zuvorderst um die Frage, wer die Macht hat, etwas zu definieren. Die Linke skandalisiert die Definitionsmacht herrschender Eliten, Begriffe oder Problemdeutungen festzulegen; umgekehrt wird Definitionsmacht als eine politische Maßnahme für diejenigen eingefordert, die direkt von Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnissen betroffen sind. Niemand würde diesbezüglich auf die abstruse Idee kommen, von Definitionsrecht zu sprechen, als würde das irgendeine Instanz garantieren.
Debatten um Definitionsrecht/-macht bringen für Frauengruppen innerhalb der radikalen Linken unweigerlich die »Organisierungsfrage« aufs Tapet. Das Infragestellen der Definitionsmacht blendet dieselben Machtverhältnisse aus, die autonome Organisierung von Frauen und deren Widerstand überhaupt notwendig machen. Die, denen es um ein Infragestellen des Definitionsrechts (oder der Definitionsmacht) geht, betreiben damit also implizit auch die Infragestellung der Frauengruppen als Organisationsform – und potentielle Gegenmacht gegenüber einer unsolidarischen Linken. Nur konsequent, dass von VertreterInnen dieser Position die Diskussion um Machtverhältnisse zwischen Frauengruppen und Gemischtlinker sorgsam ausgespart wird. Umso unpassender die euphemistisch-naive Behauptung, da würden unbegreiflicher Weise ein paar bornierte Figuren (wir sind versucht zu sagen »hysterische Weiber«) sich der Klärung wichtiger Fragen verweigern, als sei das Ganze ein von gemeinsamen Interessen getragener Disput um »richtiges« oder »falsches« Vorgehen.
Die generös angebotene »Diskussion« ist vor diesem Hintergrund also keine, sondern ein schlichter Machtkampf. Somit ist es seitens der Frauengruppen folgerichtig, sich auch nicht anhand von Maßstäben einer Debatte zu verhalten, sondern wie in einer Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner.
Wie und welche Ordnung »Vergewaltigungsdebatten« schaffen
Der Ablauf einer Vergewaltigungsdebatte innerhalb der autonomen Linken der 90er ist ein technischer: nach Ziehen des Zünders, der Aussage »Vergewaltigung« durch eine einzelne Frau setzt eine Art Mechanik ein: die besagte »Vergewaltigungsdebatte«. Innerhalb dieser werden politische Ziele häufig unscharf: geht es zuvorderst um den Schutz der Frau, ihre »Rehabilitierung« (7), Erhaltung ihrer Fähigkeit Politik zu machen oder um Strafe für den Täter und die darin gegebene Möglichkeit zur Gewissensberuhigung für dritte, die selbst über den Vorfall schockiert sind?
Die treuherzige Anerkennung der Definitionsmacht, so sie denn erfolgt, gleicht häufig eher dem passiven Abnicken eines als quasi »Gewohnheitsrecht« angesehenen Verfahrens, dass nicht hergeleitet werden muss (was vielen sicherlich bequem ist) als der aktiven, individuellen und kollektiven Parteinahme für die Frau.
Es verselbständigen sich Abläufe und das Ganze gibt eine blühende Landschaft für jeden Sexisten ab, sich als Frauenfreund zu profilieren. Denn mehr als die »richtige« Veranstaltung verhindern helfen, ist dafür ja nicht nötig (8). Die betroffene Frau gerät dabei leicht In den Hintergrund. Anstatt sich darum zu kümmern, wie ihr nach einem traumatisierendem Erlebnis geholfen werden kann, rückt die Täterbestrafung in den Vordergrund.
Die Gegnerinnen von »Definitionsrecht« oder -macht gefallen sich oft in der Provokation, üben sich im willkürlichen Rumdoktorn an der Frauenpsyche. Abstrakte Kritik feministischer Parolen (»heißt nein wirklich immer nein?«) und an dieser Stelle irrelevante Problematisierungen (»aber es gibt doch auch Frauen, die Vergewaltigungsphantasien haben!« (9)) rücken ins Zentrum bzw. werden zur »Gretchenfrage«. Im Fokus des Interesses steht nicht etwa die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse, die sexuelle Gewalt hervorbringen, oder die Suche nach einem vernünftigen politischen Umgang damit, sondern der mit intellektuellen Pirouetten garnierte Zweifel, ob denn der »Täter« wirklich ein »Täter« und das »Opfer« wirklich ein »Opfer« gewesen sei (10). Diese Verfahren und nicht die Definitionsmacht – wie beispielsweise, von Les Madeleines behauptet – sind es, die ein Bild der Frau all zu pathologisierendes, passives Opfer reproduzieren, die bei einem »privaten« Problem nach Hilfe verlangt.
Den Hintergrund jedes aktuellen Diskurses um Vergewaltigung in der Linken bildet die stillschweigend-alltägliche Behandlung von Sex und Beziehungen als »Privatsache«, die wenn überhaupt immer nur punktuell und in individualisierter Form Gegenstand der Politik werden kann – ganz wie in der sonstigen bürgerlichen Gesellschaft.
Die schaurigen Vergewaltigungsdebatten bilden derzeit den einzigen Aufhänger für die Diskussion innerhalb der autonomlinken Öffentlichkeit um das Geschlechterverhältnis, das ansonsten nicht thematisiert wird. Unter dem Druck des konkreten Vorfalls kommt es aber zuerst auf eine Positionierung an und diese wird auch eingefordert. Das ist für Bewusstseinsbildung denkbar ungünstig: niemandem wird zunächst die Gelegenheit zur Auseinandersetzung und zum Erkenntnisgewinn gegeben, um sich anschließend verhalten zu können. Die unterschiedlichen Dimensionen sexistischer Gewalt und Unterdrückung reduzieren sich in der Wahrnehmung vieler auf ein singuläres Ereignis. Durch die Zuspitzung auf den »Extremfall« Vergewaltigung werden andere Formen von sexistischem und frauenfeindlichem Verhalten bagatellisiert oder ganz aus den Augen verloren.
Aber angesichts konkreter sexistischer Übergriffe bestehen eben andere Notwendigkeiten als Aufklärung zu leisten. Die radikale Linke, die erwartet, dass Feministinnen in diesem Moment für Aufklärung zur Verfügung stehen, ist offensichtlich von allen guten Geistern verlassen.
Macht: Darf’s ein bisschen mehr sein?
Die Erkämpfung der Definitionsmacht bzw. die Einsicht in die Notwendigkeit dessen kann nur eine – wenn auch eine gewichtige – politische Maßnahme sein, die sich durch die gegebenen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse legitimiert. Es handelt sich dabei um kein perfektes Konzept, da es historisch bedingt aus einer Defensive geboren und zudem eine »missbräuchliche« Verwendung nicht auszuschließen ist. Letzteres als Argument gegen die Definitionsmacht ins Feld zu führen, heißt jedoch auch, sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse auszublenden, zu denen diese politische Forderung in enger Beziehung steht. Es kann nicht um ein »mechanisches« Verteidigen einer lediglich situativen Definitionsmacht gehen, sondern einerseits um die Erweiterung der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt in der gemischten radikalen Linken. Andererseits muss es eine umfassende Debatte unter Frauen um feministische Positionen im allgemeinen geben, die unsere gegenwärtige politische Situation reflektiert und dazu führt, bestehende Spaltungen (auch organisatorische) zu überwinden und Streitpunkte aus veränderter Perspektive anzugehen. Die Auseinandersetzung um sexuelle /sexualisierte Gewalt in der radikalen Linken sollte der Orientierung »pro-Frau« statt »contra-Mann« folgen. Derartige Prioritäten zu setzen hieße, sich für das zu entscheiden, was eine linke Bewegung und Organisation leisten kann, statt weiterhin Mini-Staat oder widerspruchsfreie Zone zu spielen. Sexuelle Gewalt kann nicht per Anspruch ausgeschlossen werden (11).
Ziel muss sein, mit der [Gewalt?], die es gibt und zunächst immer wieder geben wird, einen Umgang zu finden. Dabei sollte langfristig ein politisches Bewusstsein und sozusagen eine »Normalität« entstehen, in der sexuelle Gewalt als eine Ausprägung von sexistischen und patriarchal strukturierten gesellschaftlichen Verhältnissen thematisierbar ist, ohne dass im gleichen Zuge die Täter entlastet werden. Auch unabhängig vom Tatbestand »Vergewaltigung«, angesichts »weniger schlimmer« Vorfälle, muss gehandelt werden. Dabei wäre unsere Hoffnung (die sich mit bisherigen Erfahrungen deckt), dass Gewalterlebnisse für die Opfer subjektiv leichter verkraftbar sind, wenn sie nicht wie eine Bestätigung immergleicher, unveränderlicher Verhältnisse und darin erlebter Missachtung daherkommen. Wenn anstelle der bisher häufigsten Gewissheit, dass das betreffende Erlebnis aus gesellschaftlichen Verhältnissen hervorging, die zu bekämpfen die GenossInnen nicht für nötig erachten, der Eindruck tritt, dass sie im Kampf dagegen prinzipiell hinter der Betroffenen stehen (12), kann z.B. das Gefühl von Abwertung im Nachhinein gemildert werden.
Wenn wir oben davon reden, konkrete sexuelle Gewalt als »extreme« Ausprägung der gesellschaftlichen Verhältnisse sei ein schlechter Aufhänger für eine aufklärende Debatte um Sexismus, dann geht es uns dabei um das Gegenteil der Relativierung etwaiger Übergriffe. Mit dem Verweis auf deren Eingebundenheit in die gesellschaftlichen Verhältnisse wurde bereits oft genug die Bagatellisierung von sexueller Gewalt betrieben (13) und deren Thematisierung tabuisiert, was zum Vorwurf des »Täterschutzes« führte. Uns geht es dagegen um die Überlegung, wie sexuelle Gewalt in Zukunft politisch wirksamer skandalisiert werden kann. »Politisch wirksame Skandalisierung« und »Hilfe für die Betroffene« sind nicht als Gegensätze zu diskutieren: jeder akute Übergriff ist neben der Solidarisierung mit der Betroffenen, den er erfordert, auch ein zwingender Anlass, sich über den Status quo der Auseinandersetzung um sexuelle Gewalt in der radikalen/autonomen Linken klar zu werden und daraus Konsequenzen zu ziehen. Die vordergründige Bezugslosigkeit bisheriger Vergewaltigungsdebatten zum sonstigen politischen Alltag erschwert deren Aufarbeitung als Ausdruck radikallinker Verfasstheit und Politik.
Gleichzeitig ist die Verständigung zwischen Frauen in Frauen- und gemischten Gruppen häufig miserabel, und auch die zwischen Frauengruppen ist – zumindest in unserem Umfeld; wenn wir ansonsten irren sollten, umso schöner – nicht großartig. Es stellt sich die Frage, wie und an wen vor diesem Hintergrund welches politische Bewusstsein vermittelt wird, werden soll, kann?
Die »Zuständigkeit« als Frauengruppe für gewisse »Themen«, wie »Sexismus« zu verweigern, wenn dies von Männern bzw. Leuten gefordert wird, die sich selbst nicht dazu verhalten wollen, ist eine Sache: bei vielen äußert sich die Abwehr der Auseinandersetzung auch in vordergründiger Anerkennung der Frauengruppen und ihres »wichtigen politischen Auftrags«, der damit wunderbar klargezogen werden kann, auf dass auch keine Kompetenzstreitigkeiten aufkommen. Mechanisch die Deutungshoheit für noch jedes Einzelproblem rund um »Sexismus« an Feministinnen abzugeben, ist unpolitische Katzbuckelei. Wann hingegen der Eindruck aufkommt, in einer politischer Verantwortung zu stehen, wann ein Thema »aufgezwungen« ist (welches politische Thema ist denn nicht »aufgezwungen«?) und wie Frauengruppen untereinander politisches und Geschichtsbewusstsein vermitteln, sollte unserer Einschätzung nach wieder verstärkt Thema unter Frauen(-gruppen) sein.
Die Verteidigung und Erweiterung der »Definitionsmacht«, die das Stichwort des aktuellen Diskurses zwischen hauptsächlich der restautonomen Szene, ihrer feministischen Sub-Szene und einigen weiteren politisch marginalen linken Kräften ist, muss deren Geschichte einbeziehen und unter Bezug auf Prinzipien feministischer Politik erfolgen. Das beinhaltet die Beibehaltung und Stärkung der Autonomie der Frauengruppen und die prinzipielle Möglichkeit der Frauen innerhalb gemischter Gruppen und Organisationen, diese [Autonomie] auch abgestuft, nach Bedarf für sich einzusetzen.
Nur aus der Autonomie heraus kann die Definitionsmacht über die Gestalt und Relevanz sexualisierter/sexueller Gewalt und sexistischer Übergriffe durchgesetzt werden. Schließlich geht es um Macht, und die wird nicht freiwillig abgegeben, sondern durch den Aufbau von Gegenmacht erstritten. Die geforderte Parteilichkeit gerade der gemischten linken Gruppen lässt sich nicht als Verhaltenskanon verpacken, auch wenn so was in der autonomen/radikalen Linken so beliebt ist und für viele das einzige zu sein scheint, was Sicherheit über die eigene politische Existenz gibt. Statt beim »im Zweifel für die Frau« stehen zu bleiben, muss als Boden für konkretes Verhalten eine umfassende Sicht auf die – patriarchal verfassten – Dinge entwickelt werden. Praktisch muss die Bereitschaft da sein, wenigstens Schadensbegrenzung zu leisten. Wem die Erkenntnis bisher mangelte, dem sei gesagt: die Parteilichkeit der Männer für ihresgleichen in der gegenwärtigen Gesellschaft, ihr männerbündisches Agieren, macht feministische Parteilichkeit erst notwendig. Um den Zustand tatenloser männlicher Mittäterschaft zu durchbrechen, braucht es aktive, sichtbare Parteinahme von Männern – den Verrat am Männerbund: »Wer schweigt, stimmt zu«. Priorität bei allem, was infolge von Übergriffen unternommen wird, muss Schutz und ggf. Rehabilitierung der betroffenen Frau sowie die Orientierung an ihrem Willen, was sich punktuell widersprechen kann, sein. Ganz bestimmt haben wir nichts erhellendes oder konstruktives von reinen Begriffsdiskussionen zu erwarten, die von politischen Konflikten abstrahieren. Vorführungen nachgeahmter Staatlichkeit im Zuge von Vergewaltigungsdebatten (Verrechtlichung usw.) zeugen von Perspektivverlust und einer Sehnsucht radikal-linker Zusammenhänge nach einfachen Verhältnissen, die das schlechte Bestehende affirmiert. Das Heil wird in der Abstraktion gesucht, dem Austüfteln eines allgemeingültigen Rasters, das von der Subjektivität des Erlebten und der Er- und Überlebenden (15) wegführt und andere aus der sozialen und politischen Verantwortung, sich als FreundInnen oder GenossInnen von Täter oder Opfer zu verhalten, enthebt.
Der eigentliche Streitpunkt hinter der Frage, wer seine bedrückenden, verletzenden, gewaltvollen Erlebnisse im Zusammenhang mit Sexualität wie definieren solle oder dürfe, ist die Frage danach, was Folge einer solchen Definition sein sollte. Die Idee einer Machtposition von Frauen, Sanktionen durchzuführen, schreckt viele. Beides, Umgang mit Opfer und Täter, hat aber nur bedingt miteinander zu tun. Es ist Unsinn, einer Frau die Kompetenz ein eigenes Erlebnis treffend zu definieren, abzusprechen, nur weil mensch einen schematischen Strafkatalog im Kopf hat, so dass aus der jeweiligen Definition zwangsläufig Sanktion XY folgen muss. Statt einer Reduzierung oder einem In-Zweifel-ziehen der Definitionsmacht sollte jegliche Art von sexueller/sexualisierter Gewalt und Belästigung thematisiert werden können und dabei die gleiche Parteilichkeit und Unterstützung finden. Der Skandal besteht nicht darin, wie einige moralisierend vermuten, dass die Möglichkeit gegeben ist, dass Frau XY »widerrechtlich« Gebrauch von dem »Machtmittel« Vergewaltigungsdebatte macht (darauf wäre am ehesten zynisch zu antworten: wenn eine daraus Nutzen zieht, ist sie hoffentlich schlau genug, es anzuwenden). Der Punkt ist, dass ohne Verwendung des Vergewaltigungsbegriffs oder anderer »Tabubrüche« mit Sicherheit nichts passiert.
Das ist kein Verschulden der Frauengruppen, sondern der latenten Frauenfeindlichkeit der radikalen Linken, die keine Formen des Umgangs mit sexualisierter/sexueller Gewalt entwickelt hat und damit ausdrückt, dass die von Belästigungen, Demütigungen und Übergriffen freie Teilhabe und Mitbestimmung ihrer Politik durch Frauen ihr ein sekundäres Anliegen ist – das ist nicht eben ein neues Phänomen. Aufgabe einer kontinuierlichen Diskussion um »Sexismus« wäre es, die Möglichkeit zur Entwicklung politischen Bewusstseins zu bieten. Substanzielles zum Umgang mit Tätern und zur Möglichkeit, durch männliche Zurichtung zum Täter zu werden, erwarten wir uns v.a. von Männern.
… und darüber hinaus
Das Erkennen der Notwendigkeit autonomer Organisierung von Frauen ist von dem Bewusstsein nicht zu trennen, als Linke Teil der Gesellschaft zu sein, in dem Frauenfeindlichkeit ebenso möglich ist wie woanders. Das heißt nicht ledigliches Abnicken der rein karitativ verstandenen »Schutzfunktion« von Frauengruppen, sondern: Erarbeitung eines Bewusstseins darüber, dass Organisationsform und inhaltliches nicht unabhängig voneinander sind und die Linke in der Auseinandersetzung mit Frauengruppen einiges lernen kann, dessen sie sonst offensichtlich unfähig ist.
Dass damit Frauengruppen als Korrektiv der Linken herhalten, ist die Negativformulierung der Möglichkeit, linke durch feministische Politik zu radikalisieren. Das finden wir angesichts unserer Ausgangslage, der beinahen Stimmlosigkeit von Feministinnen/Frauengruppen in der Linken, nicht das schlechteste Ziel, wenn es auch den Anspruch, sich von linken Gruppen und Genossen nicht abhängig zu machen, kaum befriedigen kann. Würden wir die Linke für reaktionär und sonst nix halten, dann bräuchten wir kein Bündnis mit ihr zu suchen und ein Selbstverständnis als Linke wäre obsolet. Aber auch »Feminismus“ bietet nicht automatisch ein emanzipatorisches Zuhause. Da wir uns selbst auch als Linke sehen und den Anspruch habe, linke Politik mitzubestimmen, sehen wir nicht ein, weshalb wir uns zwischen einer »linken« und einer »feministischen« Ausrichtung entscheiden sollten – wobei das eine nicht im anderen aufgeht und Auseinandersetzungsfähigkeit feministische Autonomie bedingt. Einige werden es vielleicht für überflüssig oder falsch halten, zu diesem Zeitpunkt, wo die Berlin-Debatte [15a] schon eine Zeitlang her ist, dies alles extra aufzuklamüsern und zu verschriftlichen. Dem lässt sich unsere Wahrnehmung entgegenhalten, dass es leider sehr wohl nötig ist, den Sinn einst erkämpfter feministischer Gepflogenheit und Begriffe neu herzuleiten, und auch auf diesem Wege durchzusetzen. Die fruchtlosen Vergewaltigungsdebatten haben jedenfalls keinen Beitrag zur diesbezüglich Geschichtsvermittlung geleistet, sondern stehen symptomatisch für die autonome Geschichtslosigkeit und den darauf folgenden Zwang, permanent das Rad neu zu erfinden (16). Nach einigen PC- und noch mehr Anti-PC-Diskursen und im Kontext eines wieder offener frauenfeindlich werdenden gesellschaftlichen Klimas muss der Anspruch auf feministische Selbstbestimmung und/oder Definitionsmacht ebenso wie der auf autonome Organisierung wieder offensiv begründet werden. Unsere gegenwärtige Position gegenüber und innerhalb der radikalen Linken ist so schwach, dass sie nur daraus wieder stärker werden kann.
In diesem Zusammenhang kann die pauschale Haltung, sich auf keine Diskussion einzulassen, zum Hemmschuh für die »eigene« Auseinandersetzung, Positionsfindung unter Frauen und Frauengruppen werden und damit letztlich auch für die Entwicklung von feministischer Gegenmacht. Mit der Veröffentlichung unserer bisherigen Diskussionsergebnisse geht es uns darum, als »Diskussion« bemäntelte Angriffe als solche kenntlich zu machen, in eigener Sache Streit zu suchen und gleichzeitig einer Verständigung über politische Ziele von Frauen innerhalb der radikalgemischten Linken Raum zu geben.
Was das Zugeständnis »allgemein«-radikallinker begrifflicher Mangelwirtschaft betrifft: die »Gemischten« tun gut daran, sich um Bereicherung, Korrektur und Erweiterung des bisherigen zu bemühen. Die Beweislast, was Konstruktivität und Offenheit für Diskussionen angeht, liegt nicht auf Seiten der Frauen.
Anmerkungen
1: Les Madeleines sind eine überregional arbeitende gemischtgeschlechtliche Gruppe, die sich nach eigenem Bekunden schwerpunktmäßig mit dem Geschlechterverhältnis auseinandersetzt.
2: Wir halten uns im folgenden an einen weitgefassten Gewaltbegriff, der strukturelle und indirekte Formen von Gewalt einschließt. Er hat sich bewährt, um unterschiedlichste sexistische Unterdrückungserfahrungen von Frauen thematisierbar zu machen. Wir folgen damit einem politischen Zweck und verwenden den Begriff nicht ausschließlich »im Dienste der Wahrheitsfindung«. Was an sexueller Gewalt »sexuell« und was »gewalttätig« ist, werden wir hier nicht diskutieren, weil das Ausspielen beider vermeintliche Klarheit suggeriert, die konkret nicht immer gegeben ist und sein kann. Der Ausdruck »sexuelle/sexualisierte Gewalt« soll hier auch sexistische Übergriffe und Belästigungen einschließen, die durch dieselben Verhältnisse ermöglicht werden wie direkte sexuelle Gewalt. »Sexualisiert« verweist darauf, dass nicht die Sexualität das Entscheidende ist, sondern die Gewaltausübung, die eben bloß in sexualisierter Form auftritt. »Gewalt« fungiert weitergehend als Signalbegriff: Für uns ist im gegebenen Zusammenhang vorrangig, das Geschlechterverhältnis als Gewaltverhältnis zu erfassen, auch wenn es nicht nur und ausschließlich als solches charakterisierbar ist
3: Institutionalisierung kann vieles heißen: Die teilweise Institutionalisierung war für Projekte wie Frauenhäuser und Notrufe sicher die einzige Überlebenschance und ist auch nur sehr eingeschränkt mit professionalisierter Frauenpolitik z.B. in Form von Gleichstellungsbeauftragten zu vergleichen.
4: Der Begriff »autonom« bezeichnet für Frauengruppen und »die Autonomen« als gemischte Bewegung etwas unterschiedliches: während Frauengruppen sich damit auf das feministische Autonomieprinzip beziehen, wurde die Bezeichnung »die Autonomen« aus der italienischen Linken übernommen, wo sie für eine außerparlamentarische Strömung der 60er Jahre stand, die »Autonomia operaia«.
5: Ob diese Wahrnehmung die einzig mögliche, ob der Anschluss in die gemischte radikale Linke und der Versuch die Einflussnahme auf ihre Politik tatsächlich unausweichlich ist, oder ob nicht inzwischen (nach einer gewissen »Überwinterungszeit«) die Neubegründung und Stärkung von Frauenaktions- und Diskussionsforen für Feministinnen in der radikalen Linken Priorität haben sollte, ließe sich diskutieren.
6: Der Selbstbestimmungsbegriff beinhaltet eine Trennung und Hierarchisierung von »Kopf« (-kognitive Fähigkeiten, Rationalität) und Körper: Das Bewusstsein soll das (gesellschaftliche) Sein bestimmen. »Selbstbestimmung« steht heute [dagegen] für eine individualisierte, entpolitisierte »Entscheidungsmöglichkeit« der Frau (v.a .über ihren Körper), die umso größer sei, je mehr (technologische) Möglichkeiten ihr offen stehen und je mehr sie davon nutzt, ihren Körper und darüber auch ihre Biografie zu kontrollieren. Dadurch ist dieser Begriff heute keiner mehr, mit dem Frauen bewusst Einfluss nehmen, sondern mit dem versucht wird, ihre Entscheidungen zu beeinflussen.
7: Dass eine solche überhaupt nötig ist, spricht für sich und gegen Gruppen und Organisationen, deren Verhalten eine Rehabilitierung nötig macht. Trotzdem ist es Fakt, dass Frauen sich auch in solchermaßen frauenfeindlichen Gruppen organisieren wollen, und diese Wahl ist ihnen offen zu halten.
8: Wir tun damit sicherlich einigen Unrecht. Ein Charakteristikum dürfte dennoch damit getroffen sein.
9: Gerade deren Vorhandensein verweist darauf, dass Phantasien nicht rein spielerisch und ohne äußere Beeinflussung zustande kommen.
10: Hier zeigen diskurstheoretisch geschulte Linke gern ihre »Schokoladenseite« und üben fleißige Kritik an »identitären Zuschreibungen« oder gleich »Identitätspolitik«. Häufig erfolgt eine bloße begriffliche Anspielung auf Theoriegebäude, die vielen nichts sagen, anstatt eine Auseinandersetzung zu erreichen oder diese zu wollen.
11: Wer und was wann und wo auszuschließen ist und ausgeschlossen werden kann, ist Gegenstand konkreter Verhaltensfragen. Die verschiedentlich vorgebrachte allgemeine Kritik an der »eliminatorischen« Ausrichtung von Vergewaltigungsdisputen, ihrem Charakter als »interne Säuberungen«, sollte mit deren Entstehungszusammenhang abgeglichen werden. Der Gipfel einer psychologisierend kaschierten, unsolidarischen Pseudo-Kritik, die damit zur Hetztirade in bester antifeministischer Tradition wird, ist die Feststellung einer angeblich damit einhergehenden bürgerlichen »Sexualfeindlichkeit«, wie sie etwa von der Bahamas in »Infantile Inquisition« formuliert wurde. Dort wird die Psychoanalyse für eine reaktionäre Argumentation nutzbar gemacht und so ein Anschein von Wissenschaftlichkeit aufgebaut, für den ebenso gut auch eine andere Theorie hätte herhalten können. Das einzige, was durch den Vorwurf der Tabuisierung von Sexualität wirklich tabuisiert wird, ist die Frage nach Gewalt- und Machtverhältnissen innerhalb konkreter sexueller Beziehungen. Hingegen der von der Bahamas notdürftig wiedererwärmte Mythos einer ambivalenten, geheimnisvollen und befreienden Sexualität ist eher ein Gruselschocker aus den Aufbruchstagen der APO als eine nach aller historischen Erfahrung für die Linke noch ernsthaft diskutierbare Idee. Von dem Wipfeln weltvergessener Ideologiekritik mölmt der Staub und Muff der 68er… Hust. Uns jedenfalls ist angesichts einer derartigen »Sexualität« ganz wohl in der Feindschaft dagegen. Wer die reaktionären Tendenzen der jetzigen, sich wiederholenden Vergewaltigungsdebatten angreift, hat sich darin auf deren Platz im gesamtgesellschaftlichen Geschehen und ihren Zusammenhang mit dem Problem autonomer Desorganisierung zu beziehen.
12: Das schließt Konflikte untereinander über das »Wie« nicht aus.
13: Vgl. Madeleines und Bahamas.
14 [entsprechende Fußnote im Text fehlt leider und konnte nicht rekonstruiert werden]: Nicht alles, was an unleidlichem in Heterobeziehungen passiert, muss unbedingt den Weg über eine explizite »Politisierung« nehmen, wenn es auch außerhalb dessen, im zwischenmenschlichen Bereich und mit dessen Kategorien (Vertrauen, Verzeihen, Hoffnung, Freundschaft, Nachsicht) möglich ist, einer Frau nach einem Scheißerlebnis Unterstützung zuteil werden zu lassen und das auch geschieht. Wohl überflüssig zu erwähnen, dass die Einschätzung der Betroffenen maßgeblich dafür ist, ob ein Vorfall ausreichend »politisiert« wurde?
15: Da der Überlebendenbegriff von Les Madeleines in der oben beschriebenen einseitigen Weise kritisiert wurde (vgl. »Das Borderline-Syndrom«), noch eine kleine Erläuterung dazu: er wurde von Frauen in Abgrenzung zum mit Passivität assoziierten Opferbegriff entwickelt. Er soll der komplexen Situation der von Gewalt betroffenen Frauen gerecht werden: sie werden nicht nur Opfer, sondern kämpfen auch ständig um ihr Überleben, sowohl innerhalb einer Gewaltsituation als auch danach. Das daraus resultierende widersprüchliche Verhalten von Frauen Männern gegenüber wird ihnen oft als Mittäterschaft ausgelegt. Hierbei wird aber eines grundlegend verkannt: Eine Frau, die sich in einem Gewaltverhältnis befindet, hat dieses nicht herbeigeführt. Sie wird mit einer für sie gefährlichen Situation gezwungenermaßen konfrontiert. Sie versucht nun, den bestmöglichen Weg zu finden, um ihr Überleben zu sichern und so wenig wie möglich zum Opfer zu werden, also Schaden zu nehmen. Dieses Bemühen kann auch darin bestehen, sich eben nicht zu wehren und scheinbar in Dinge einzuwilligen. Es ist wichtig zu bedenken, dass die verschiedenen Überlebensstrategien auf Grundlage einer lebenslänglichen, mehr oder weniger stark gespürten Unterdrückungssituation innerhalb von patriarchalen Verhältnissen entwickelt werden und mit dem Wissen, von Männern abhängig zu sein. Schließlich ist es Frauen ja nicht möglich, sich in eine männerfreie Welt zu flüchten, sondern sie müssen sich mit dem was da ist, arrangieren. Der Überlebendenbegriff stellt von feministischer Seite den Versuch dar, das Aktive im Handeln der Frauen in den Vordergrund zu stellen und darüber hinaus die existentielle Bedrohung, der sie häufig ausgesetzt sind, klarzumachen. Eine Kritik hat das einzubeziehen.
[15a: Gemeint ist höchstwahrscheinlich die Debatte um Vergewaltigungen in der radikalen Linken, die 1999/2000 vor allem in der Zeitschrift Interim geführt wurde. Die Debatte ist hier archiviert.]
16: Vgl. dazu Heinz Schenk: Die Autonomen machen keine Fehler, sie sind der Fehler, 1991
DANK: WIR HABEN IN DER LETZTEN ZEIT UNSERE POSITIONEN IN VERSCHIEDENEN RUNDEN, MIT FRAUEN UND MÄNNERN, DISKUTIERT. VIELEN DANK FÜR EUER INTERESSE, EURE ANREGUNGEN UND SOLIDARISCHE KRITIK!
Anmerkung: Dieser Text wurde hier in einer leicht bearbeiteten Version wiederveröffentlicht, weil er sich im Original nur noch mit einer unsicheren Internet-Verbindung lesen lässt. Eindeutige Fehler wurden korrigiert. Außerdem wurden in eckigen Klammern einige wenige Anmerkungen und Ergänzungen zum besseren Verständnis hinzugefügt. Es besteht kein Kontakt zu den Autor*innen des Originals.