Ashley Memo (es/-), August 2023
Lesedauer: 16 min
Transformative Täterarbeit ist eine politische Praxis, die in deutschsprachigen linken Zusammenhängen immer wieder ausprobiert wird. Dabei treffen sich mehrere Leute über einen längeren Zeitraum wiederholt mit einem Täter intimer oder sexueller Gewalt. Das Ziel: Der Täter soll weniger oder besser gar keine Gewalt mehr ausüben. Als Weg dahin ist eine Art begleitete Selbstreflexion vorgesehen. Die Leute, die transformative Täterarbeit anbieten, sind in der Regel Freund*innen oder politische Bekannte des Täters.
Auch wenn es kaum verschriftlichte Erfahrungsberichte dazu gibt, lässt sich mit einiger Gewissheit sagen, dass transformative Täterarbeit in der Regel scheitert. Die Täter üben weiter Gewalt aus, etwaige Forderungen von Betroffenen werden nur zeitweise oder nur vermeintlich erfüllt. Oft stellt sich im Verlauf der Prozesse oder im Nachhinein heraus, dass die Aktivist*innen vom Täter systematisch manipuliert und instrumentalisiert wurden.
Dieses Scheitern liegt nicht etwa an einer schlechten Umsetzung transformativer Täterarbeit, sondern ist in ihren konzeptuellen Grundlagen bereits vorgezeichnet. Darin werden Täter als solche massiv verharmlost und zu hilfsbedürftigen Fällen für eine pädagogische Intervention verniedlicht. Diese Intervention soll ganz ohne Machtmittel auskommen und ist deshalb in den meisten Fällen zum Scheitern bestimmt.
Transformative Täterarbeit ist aber nicht nur keine Lösung, sondern auch Teil des Problems: Sie ist wie gemacht dafür, Tätern zusätzliche Instrumente der Kontrolle und Manipulation in die Hand zu geben. Wer Betroffene unterstützen will, sollte um solche Gefahren wissen. Vor allem deshalb dieser Text.
Ein Konzept ohne feministische Grundlage
In den wenigen Texten zu transformativer Täterarbeit, die es im deutschsprachigen Raum überhaupt gibt, spielen feministische Theorieansätze zu männlicher Herrschaft so gut wie keine Rolle. Die Absichten, Strategien und typischen Vorgehensweisen von Tätern bleiben weitestgehend ausgeblendet. Das lässt sich im Groben auch über die Konzepte Community Accountability und Transformative Justice sagen, die vor allem in Schwarzen Communities in den USA entwickelt wurden und auf die in deutschen Texten immer wieder positiv verwiesen wird.
Der rote Faden, der sich durch Texte zu transformativer Täterarbeit zieht, ist die Vorstellung, dass transformative Täterarbeit prinzipiell erfolgreich sein kann, wenn nur der Täter Veränderungsbereitschaft zeigt, ihm der passende Raum gegeben wird und die Aktivist*innen geduldig sind und richtig vorgehen. Ob solche Erfolgsaussichten überhaupt realistisch sind, wird in den Texten gar nicht erst diskutiert.
Ebenso fällt die Frage unter den Tisch, ob es im Kampf gegen intime und sexuelle Gewalt nicht weitaus wichtigeres zu tun geben könnte als eine unmittelbar auf Veränderung zielende Arbeit ›mit‹ den Tätern selber. Die Texte sind extrem verengt auf die Frage, wie Täter sich ›transformieren‹ lassen – ohne jede weitere Diskussion der Frage, unter welchen Umständen das überhaupt sinnvoll oder erfolgversprechend ist.
Diese Verengung aufs Täterverändern findet sich beim wahrscheinlich wichtigsten Text zu transformativer Täterarbeit schon im Titel: »Was tun bei sexualisierter Gewalt? Handbuch für die Transformative Arbeit mit gewaltausübenden Personen«. Das Buch wurde von der Gruppe Respons geschrieben und ist 2018 im Unrast-Verlag erschienen. Es wird von aktivistischen Linken immer wieder als positiver Bezugspunkt genannt, zum Beispiel in einem Leitfaden zu »sexualisierter Gewalt« des Klimaschutz-Bündnisses Ende Gelände. Wegen diesem besonderen Status in aktivistischen Kreisen bildet das »Handbuch« den Hauptbezugspunkt in diesem Text.
Auf die Frage »Was tun bei sexualisierter Gewalt?« müsste nun eigentlich die erste Antwort sein: Sich überlegen, ob und wie eine*s die betroffene Person unterstützen kann! Ist die Person in Gefahr? Was ist mit dem Umfeld? Welche Rollen nimmt hier wer ein? Und so weiter. Solche Fragen werden im »Handbuch« aber bereits im Titel zur Nebensache erklärt und auch in seinen vielen Kapiteln kaum beachtet, geschweige denn diskutiert. Die Autor*innen gehen ohne weitere Erklärung von einem Szenario aus, in dem ihre Leser*innen ›transformativ mit einem Täter arbeiten‹ möchten oder das bereits tun und dafür jetzt gerne eine Anleitung hätten.
Warum ist diese Verengung aufs Täterverändern ein solches Problem? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir einen Schritt zurück machen.
Täter und ihre Strategien
Schon der in transformativen Kreisen geläufige Ausdruck »gewaltausübende Person« ist höchst irreführend. Denn erstens werden intime und sexuelle Gewalt nicht geschlechtsneutral von ›Personen‹ ausgeübt. Die Täter*innen sind überwiegend Männer, insbesondere bei systematisierten und schweren Formen von Gewalt. Deshalb wird auch im Folgenden nur von Tätern die Rede sein. Die Anzahl und die politische Bedeutung von Täter*innen, die keine Männer sind, ist im Vergleich ausgesprochen gering.
Zweitens sind Person und Handlung keineswegs so getrennt, wie es mit der Rede von »gewaltausübenden Personen« nahegelegt wird. Worüber sich Täter als solche definieren lassen, ist ein grundsätzliches Anspruchs- und Berechtigungsdenken in Bezug auf Intimität und Sexualität. Täter sehen sich prinzipiell und persönlich dazu berechtigt, ihre intimen und sexuellen Ansprüche nicht nur rücksichtslos auszuleben, sondern mit Gewalt gegen Andere durchzusetzen. Sie fühlen sich, um eine Formulierung der Journalistin Antje Joel aufzugreifen, immer dann rechtmäßig provoziert, wenn Betroffene etwas tun oder wollen, das den Tätern nicht passt.
Gewalt ›passiert‹ also nicht einfach. Täter entscheiden sich immer aktiv dazu, Gewalt auszuüben. Diese Entscheidungen treffen Tätern nicht einfach spontan je nach Situation, sondern mit einem übergeordneten Ziel: Sie versuchen, Dominanz und Kontrolle aufzubauen und zu diesem Zweck den Willen der betroffenen Person zu brechen, zu unterlaufen oder für die eigenen Zwecke zu manipulieren.
Hierzu setzen Täter verschiedene Strategien ein. Sie versuchen systematisch, …
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ihre Gewalt und die dahinterstehenden Ansprüche zu normalisieren,
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Betroffene einzuschüchtern,
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Betroffene zu vereinzeln,
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die Wahrnehmung von Betroffenen anzugreifen und
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sich als Täter zu einem Rätsel für Betroffene und Andere zu machen.
Die letzte Täterstrategie – in einem Wort Selbstverrätselung – ist zentral für ein Verständnis davon, warum und in welchem fundamentalen Sinn transformative Täterarbeit in die Irre geht.
Selbstverrätselung
Täter versuchen sich vor allem dann selbst zu verrätseln, wenn ihre Gewalt als Gewalt benannt worden ist und mögliche Konsequenzen im Raum stehen. Oft sind das Situationen, in denen Betroffene darüber nachdenken, dem Täter ihre Unterstützung zu entziehen, die Beziehung zu ihm zu beenden oder Andere von der Gewalt in Kenntnis zu setzen.
Als Grundlage der Selbstverrätselung gestehen Täter oberflächlich ein, Gewalt ausgeübt zu haben. Sie leugnen hier nicht, was auf der Ebene äußerlicher Abläufe ›passiert‹ ist, dafür aber ihre Absicht hinter der Gewalt. Würden sie diese Absicht offen zugeben, würden Betroffene oder Andere sich womöglich (endgültig) vom Täter abwenden und weitere Konsequenzen ziehen. Um dem zuvorzukommen, versuchen Täter Mitleid zu erregen, indem sie vorgeben, selber unter ihrer Gewalt zu leiden – oft angeblich so sehr wie die betroffene Person oder noch mehr.
Damit schaffen Täter ein Rätsel über sich als Täter: Wie kann es sein, dass er überhaupt Gewalt ausgeübt hat, wo er doch selbst offenbar so darunter leidet? Es scheint, als müsse es Ursachen für die Gewalt geben, über die der Täter keine Entscheidungsmacht hat. Es scheint, als wäre es daher unangemessen, ihn überhaupt Täter zu nennen. Und es scheint, als müssten die scheinbaren Ursachen für die Gewalt nur auf irgendeine Weise abgeschafft werden, um die Gewalt zu beenden. Ein hoffnungsvoller und vermeintlich ermächtigender Gedanke.
Oft liefern Täter die angeblichen Ursachen für ihre Gewalt direkt mit. Typische Beispiele hierfür sind Stress auf der Arbeit, ein Kommunikations- oder Aggressionsproblem oder eine Verletzung aus einer früheren Beziehung. (Mehr dazu lässt sich z.B. im Buch »Warum tut er das?« von Lundy Bancroft nachlesen.)
Auf diese Weise versuchen Täter sich aus der Verantwortung zu ziehen und insbesondere Betroffene emotional unter Druck zu setzen: Wenn der Täter eigentlich nichts für seine Gewalt kann und selber darunter leidet, dann ist es scheinbar unangemessen, wütend auf ihn zu sein. Viel angemessener scheint es zu sein, Mitleid mit ihm zu haben und sich um ihn zu kümmern. So versuchen Täter die Wut der Anderen im Keim zu ersticken und sie daran zu hindern, Konsequenzen zu ziehen.
Im gleichen Zuge signalisieren Täter, dass sie bereit dazu sind, sich zu verändern. Damit versuchen sie die Hoffnung vor allem von Betroffenen weiter zu schüren: Der Täter leidet scheinbar nicht nur selber unter seiner Gewalt, sondern er will auch etwas dafür tun, nicht so ›sein zu müssen‹. Es scheint unmenschlich zu sein, ihn bei diesem ehrenwerten Vorhaben nicht zu unterstützen.
Und hier kommt der entscheidende Punkt: Täter stellen nicht ohne weiteres in Aussicht, dass sie sich verändern werden. Sie knüpfen ihre Veränderung an Bedingungen. Wer vom Täter will, dass er sich verändert – und das sind in der Regel zuallererst die Betroffenen selbst –, muss ihm nach seiner Logik dabei ›helfen‹, die angeblichen Ursachen für die Gewalt aus der Welt zu räumen oder sie zumindest durch viel Rücksichtnahme und emotionale Fürsorge auszugleichen.
Mit dieser Zuständigkeitserklärung versuchen Täter die gleiche patriarchale Schuldumkehr durchzusetzen wie sonst auch: Es sollen letztlich immer Andere für die Gewalt des Täters verantwortlich sein. Nur diesmal begründet er das nicht direkt mit angeblichen ›Provokationen‹ durch Betroffene, sondern damit, dass diese oder Andere ihn angeblich nicht genug bei seiner Veränderung unterstützen. In dieser Schuldumkehr liegt auch eine indirekte Drohung: Wer nicht kooperiert, dem*der entzieht der Täter seine Empathie – oder aber er wird direkt ›rückfällig‹, übt also erneute Gewalt aus.
Wie jede Täterstrategie ist die Selbstverrätselung und das damit verbundene Inaussichtstellen von Veränderung also ein systematischer Versuch von Tätern, Kontrolle zu gewinnen. Kontrolle über die Wahrnehmung, die Gefühle, das Denken und Handeln von Anderen, vor allem von Betroffenen. Sie sollen nicht ihrer eigenen Wahrnehmung von der Gewalt vertrauen, sondern sie sollen die Erzählungen des Täters übernehmen, denen zufolge die Gewalt ihm eigentlich nur ›passiert‹ ist, ganz andere Ursachen hat und er selber darunter leidet. Und sie sollen keine autonomen Entscheidungen treffen, sondern das tun, was der Täter als angeblich nötige Voraussetzung dafür einfordert, dass er ›an sich arbeiten‹ kann. Beides versuchen Täter unter Umständen auch Umfeldern gegenüber durchzusetzen, die sich ›zu sehr‹ einmischen.
Was hat das alles mit transformativer Täterarbeit zu tun?
Der Mythos von der »gewaltausübenden Person« ohne Absicht
Texte zu transformativer Täterarbeit basieren auf der Vorstellung, dass es eine bedeutende Anzahl von »gewaltausübenden Personen« gibt, die sich eigentlich verändern wollen, aber dafür die Unterstützung der transformativen Gruppe brauchen. Auch dem »Handbuch« der Gruppe Respons liegt diese Vorstellung zugrunde: »Unser Konzept richtet sich […] nicht an Personen, die absichtlich und/oder geplant Gewalt ausgeübt haben«. Diese wichtige Einschränkung findet sich erst auf Seite 106, mitten im Buch.
Aber wie sollen Leute überhaupt herausfinden, ob jemand absichtlich oder geplant Gewalt ausgeübt hat? Indem sie die Person fragen? Das führen die Autor*innen nicht aus. Fest steht nur: Es soll Menschen geben, die zwar unabsichtlich Gewalt ausüben – aber das in einem solchen Ausmaß und mit einer solchen Hartnäckigkeit, dass extra für sie ein ›transformativer Prozess‹ in die Wege geleitet werden muss.
So fragwürdig diese Vorstellung auch ist: Sie ist notwendig, wenn transformative Täterarbeit als sinnvolle und machbare Praxis erscheinen soll. Es muss eine Unabsichtlichkeit hinter der Gewalt und die Möglichkeit einer gemeinsamen ›Arbeit‹ an den vermeintlichen Ursachen für die Gewalt geben – schlichtweg weil sonst die ganze Idee von transformativer Täterarbeit in sich zusammenfällt. Es muss einen eigentlich guten Willen der Täter geben, damit überhaupt etwas ›transformiert‹ werden kann.
Täterarbeit als sinnloses Konsens-Lernprogramm
Hier kommen die patriarchalen Erzählungen ins Spiel, mit denen auch Täter selber gerne argumentieren. In den Texten werden diese Erzählungen aber nicht kritisch betrachtet, sondern zur faktischen Grundlage der eigenen Argumentation erklärt. Auch in der Argumentation des »Handbuches« ist die Behauptung zentral, dass Täter oft »nicht gelernt haben, ihre Bedürfnisse konsensual zu befriedigen« (57). Täterarbeit heißt dann vor allem Konsens-Lernprogramm: »Das Zustimmungskonzept ist in unserem Denken von entscheidender Bedeutung, da mit ihm erlernte Denk-, Fühl und Handlungsweisen, die sexualisierte Gewalt überhaupt erst ermöglichen, wieder verlernt werden können« (53). Aus dieser Vorstellung ergibt sich ein klarer Arbeitsauftrag an Aktivist*innen: Sie sollen dem Täter dabei helfen, neue »Skills« zu »beherrschen« (177), insbesondere die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse konsensuell zu befriedigen.
Nur: Es stimmt schlichtweg nicht, dass Täter nicht fähig zu Konsens sind. Viele Täter gehen regelmäßig konsensuelle intime oder sexuelle Kontakte ein. Oft setzen Täter beides sogar gezielt ein, um Betroffene an sich zu binden. Das Problem ist, dass Tätern Konsens nicht ansatzweise so wichtig ist wie ihre intimen und sexuellen Ansprüche. Sie wollen Gewalt ausüben, weil ihnen die Gewalt etwas bringt: Dominanz und Kontrolle über patriarchal abgewertete Andere und, vermittelt darüber, persönlichen Lustgewinn – auch in einem sexuellen Sinn.
Nicht nur die Behauptung, Täter hätten nicht genug Konsens gelernt, ist falsch, sondern auch die dahinterstehende Vorstellung, Gewalt sei das Ergebnis eines Ursache-Wirkungs-Verhältnisses. Es ist aber grob falsch, überhaupt von Ursachen für intime und sexuelle Gewalt zu sprechen, wenn dabei die subjektiven Gründe der Täter keine Berücksichtigung finden. Woran Veränderung tatsächlich scheitert, ist nicht irgendeine biografisch herleitbare Unfähigkeit von Tätern, sondern ihr Interesse an der Gewalt. Denn tatsächlich müssten sie ja nur ihre intimen und sexuellen Dominanz- und Kontrollansprüche aufgeben, um die Gewalt zu beenden.
Statt das zu tun, versuchen Täter nun mit viel Aufwand Andere dazu bringen, die angeblichen Ursachen der Gewalt gemeinsam mit dem Täter zu ›bearbeiten‹. Diese Aufgabe wird in Texten zu transformativer Täterarbeit bereitwillig angenommen und zur vielversprechenden politischen Praxis verklärt. Im »Handbuch« heißt das vor allem: Tätern muss Konsens beigebracht werden, den sie angeblich eigentlich auch wollen. Damit ist der ideologische Rahmen transformativer Täterarbeit und der damit einhergehende Arbeitsauftrag an Aktivist*innen durch Täter und ihre falschen Erzählungen bestimmt.
Ein Drahtseilakt ohne Ende
Nicht nur das. Täter achten naheliegenderweise auch innerhalb der ›Prozesse‹ sehr genau darauf, dass alles in ihrem Sinn verläuft. Es gibt viele Wege, Missfallen bei Tätern zu erwecken: ›zu aggressive‹ Schuldzuweisungen, ›zu viel‹ Misstrauen gegen die Erzählungen des Täters, ›zu viele‹ Gespräche über den Täter statt mit ihm, ›zu streng‹ gesetzte Grenzen… Alle praktischen Ansätze, mit denen Aktivist*innen sich schützen, Betroffene in ihrer Autonomie stärken und Täter in ihrer Kontrolle über Andere schwächen können, gehen Tätern zu weit. Schlagen die transformativen Arbeiter*innen solche Wege ein, reagieren die Täter mit Bestrafungen und Drohungen – etwa in Form von emotionalen und psychischen Angriffen, erneuten Übergriffen außerhalb oder sogar innerhalb der Prozesse, Verwirrungstaktiken, Schweigen, Unzugänglichkeit und Rückzug. So versuchen Täter, einen Rahmen in ihrem Sinn (wieder-) herzustellen und damit Kontrolle zu gewinnen.
Solche Kontrollversuche und die dafür von Tätern aufgebaute Drohkulisse werden in Texten zu transformativer Täterarbeit aber nicht als solche benannt, geschweige denn zum Anlass für mehr Misstrauen genommen, sondern zu rein psychischen ›Widerständen‹ der Täter verharmlost. Dem »Handbuch« zufolge handelt es sich hier um »Abwehr und Blockaden« (162), die es durch eine geschickte Gesprächsführung zu umschiffen gelte. Nach dieser pseudo-therapeutischen Logik darf Tätern – ganz in ihrem Sinn – nie zu viel auf einmal zugemutet werden, denn: »Zu wenig Empathie kann bewirken, dass die gewaltausübende Person dichtmacht, sich unverstanden und nur noch unter Druck gesetzt fühlt. Zu viel Empathie kann bewirken, dass keine tiefergehende Auseinandersetzung und Infragestellung stattfindet und die gewaltausübende Person nicht an entscheidenden – und herausfordernden – Aspekten ihres*seines Verhaltens arbeitet« (158).
Solche Sätze klingen, als hätten Aktivist*innen tatsächlich die Macht, Täter zur Verändung zu bewegen, wenn sie nur ihre Empathie richtig dosieren. Aber tatsächlich ist die Vorstellung, ausgerechnet durch emotional-zwischenmenschliches Geschick Macht über Täter gewinnen zu können, Ausdruck davon, dass sich Aktivist*innen im Rahmen transformativer Täterarbeit grundsätzlich in einer machtlosen Position befinden. Denn der Täter allein entscheidet, was er tut und lässt, welche Zugeständnisse er macht, welchen Absprachen er zustimmt und was er dafür angeblich noch alles ›braucht‹. Seine stabile Verhandlungsgrundlage besteht darin, dass die Anderen wollen, dass er sich ändert. Er macht ihnen gerade genug Hoffnung, damit sie sich immer wieder aufs Neue um sein Wohlwollen und den nächsten kleinen Schritt in der ›Transformation‹ bemühen. Dass sie dabei einen Drahtseilakt zwischen Empathie und Konfrontation vollführen müssen, ist gerade Ausdruck der Kontrolle, die Täter in Beziehungen aufzubauen versuchen.
Die Vorstellung, einen Täter zur Veränderung bewegen zu können, indem eine*s immer wieder Schritte auf ihn zu macht, ist also eine ausgesprochen gefährliche Illusion. Sich auf dieses Spielchen einzulassen, bedeutet real nicht, Macht zu gewinnen und in der ›Transformation‹ einen Schritt weiterzukommen, sondern es bedeutet, dem Täter die Kontrolle zu geben, die er will. Hierin werden Aktivist*innen von Texten wie dem »Handbuch« bestärkt.
Kann es da noch verwundern, dass Aktivist*innen, die es mit der transformativen Täterarbeit versuchen, oft mit massiven Schuldgefühlen zu kämpfen haben? Auch wenn sie es rational besser wissen, bleibt das Gefühl hängen, nicht genug versucht zu haben – ganz persönlich gescheitert zu sein. Die Täter bleiben Täter, allen Einladungen und aller Mühe zum Trotz. Zu solchen Schuldgefühlen tragen, neben den Tätern selbst, auch Vertreter*innen transformativer Täterarbeit ein gutes Stück bei: Sie verklären ein pseudo-therapeutisches Reflexions-Angebot für Täter, das in Wirklichkeit auf eine Unterwerfung unter die Ansprüche von Tätern hinausläuft, zur vielversprechenden politischen Praxis. Auf diese Weise erschweren sie es denen, die mit Tätern zu tun haben, 1. einen realistischen Blick auf die Täter und ihr System intimer und sexueller Gewalt zu gewinnen, 2. sich selbst als nicht zuständig für die Veränderung von Tätern zu begreifen und 3. die eigenen politischen und moralischen Ansprüche auch dann ernst zu nehmen, wenn das einen Bruch mit Tätern bedeutet.
Täterarbeit besser bleiben lassen
Transformative Täterarbeit ist also in zweierlei Hinsicht wie geschaffen für eine Instrumentalisierung durch die Täter:
Zum einen können Täter ihren ›transformativen Prozess‹ ohne weiteres nutzen, um sich vor Betroffenen und Umfeldern als veränderungswillig oder in Veränderung befindlich darzustellen und damit die Entscheidungen der Anderen zu manipulieren. Deshalb ist transformative Täterarbeit mindestens ein Bremsklotz für einen kollektiven feministischen Umgang mit Tätern und weit davon entfernt, eine echte Hilfe für Betroffene zu sein.
Zum anderen ist transformative Täterarbeit wie geschaffen dafür, dass Täter die Prozesse nutzen, um als Täter dazuzulernen. Sie können hier in einem geschützten Rahmen einüben, wie sie Andere noch geschickter und unterschwelliger in ihrer Wahrnehmung, ihren Gefühlen, ihrem Denken und Handeln kontrollieren und manipulieren. Besonders gefährlich ist das alles, wenn die Aktivist*innen ohnehin kaum praktische Erfahrung darin haben, sich praktisch von Tätern abzugrenzen, und wenn ihnen der Täter persönlich etwas bedeutet.
Auch die Autor*innen des »Handbuches« lassen übrigens schließlich durchblicken, dass transformative Täterarbeit nicht funktioniert: »Uns ist, ehrlich gesagt, […] kein (!) Beispiel eines [transformativen] Prozesses in Deutschland bekannt, in dem ein abschließender Erfolg am Ende der Arbeit stand, mit dem wirklich alle Beteiligten (inklusive der betroffenen Person) zufrieden waren« (174). Nur ziehen die Autor*innen daraus überhaupt keine kritische Konsequenz, sondern veröffentlichen ihr erfolgloses Konzept unter dem Titel »Handbuch«. Das ist irreführend und fahrlässig. Nicht zuletzt, weil auch linke Täter selber das »Handbuch« gerne als autoritäres Argument dafür benutzen, warum und wie mit ihnen ›gearbeitet‹ werden muss – warum also von ernsten Konsequenzen abzurücken ist. Wer so über Täter schreibt, schreibt – wenn auch unbeabsichtigt – für sie.
Am Ende des »Handbuches« bleibt als Argument für transformative Täterarbeit nur eine trotzig vorgetragene Hoffnung: »Wir glauben an die Möglichkeit zur Veränderung auf unterschiedlichen Ebenen und aus verschiedenen gesellschaftlichen Positionen heraus. Diese Hoffnung wollen wir uns nicht nehmen lassen« (195). Aber was für eine Hoffnung ist das, die sich wider besseren Wissens am guten Willen von Tätern festklammert? Diese Hoffnung hat etwas verzweifeltes. Sie kann rhetorisch gepflegt und zur politischen Praxis aufgebauscht werden – und ist trotzdem in ihrer Abhängigkeit von Tätern geradezu darauf angelegt, enttäuscht werden.
Denn Täter ändern sich in den meisten Fällen eben nicht und selbst in guten Täterprogrammen nur selten. (Auch das lässt sich bei Lundy Bancroft nachlesen.) Der Grund ist ziemlich einfach: Die allermeisten Täter wollen sich nicht verändern. Auch wenn sie unter Umständen, wie dargestellt, mit viel Aufwand und oft überzeugend das Gegenteil vorspielen.
Also wohin mit der Hoffnung? Am vielversprechendsten ist es, sie von Tätern abzuziehen und in eine feministische Bewegung zu legen, die sich die autonome Handlungsmacht von Betroffenen zur obersten Priorität macht. Die Kräfteverhältnisse auch innerhalb der Linken ermutigen sicher nicht dazu. Aber im Unterschied zu Tätern haben sich Feminist*innen bisher als gute Verbündete im Kampf gegen intime und sexuelle Gewalt erwiesen. Für eine feministische Bewegung lässt sich kämpfen. Je mehr Betroffene sich tatsächlich der Kontrolle von Tätern entziehen oder sich erfolgreich gegen sie wehren können, desto weniger Gewalt können Täter ausüben, selbst wenn sie es wollen. Und mit dem politischem Rückhalt einer feministischen Bewegung lässt sich vielleicht auch leichter etwas von der verzweifelten Hoffnung aufgeben, die sich immer wieder wie von allein auf Täter richtet und die wir uns viel zu oft schönreden, um uns nicht allzu ohnmächtig zu fühlen.